Zu den Grundsätzen des Arbeitsschutzes gehört nach § 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Gefährdungen für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit zu vermeiden und verbleibende Gefährdungen möglichst gering zu halten. In § 5 ArbSchG (Beurteilung der Arbeitsbedingungen) ist ebenfalls ausdrücklich erwähnt, dass sich Gefährdungen auch durch psychische Belastung am Arbeitsplatz ergeben können, daher sind diese bei der Gefährdungsbeurteilung in jedem Fall zu berücksichtigen.
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz bezeichnen dabei alle äußeren Einflüsse, die auf psychischer Ebene auf einen Menschen einwirken und seine Arbeitstätigkeit beeinflussen. Diese können sowohl von der Arbeitsaufgabe selbst (z.B. hoher Zeitdruck, Komplexität), den Arbeitsbedingungen (z.B. Lärm, schlechte Beleuchtung) als auch vom sozialen Umfeld (z.B. Konflikte mit Kollegen, mangelnde Anerkennung) ausgehen.
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Psychische Belastung
Psychische Belastung ist nach DIN EN ISO 10075-1 die „Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“. Der Begriff „Psyche“ bezeichnet nach Duden die „Gesamtheit des menschlichen Fühlens, Empfindens und Denkens“, psychische Belastungen sind also alle Einwirkungen, die Reaktionen im Fühlen, Empfinden und Denken hervorrufen. Eine Arbeit ohne psychische Belastungen ist damit fast nicht denkbar – und auch nicht wünschenswert, denn die Einflüsse können – ganz analog der körperlichen Belastung – auch positiv sein: sie können zum Beispiel anregen, aktivieren oder Lernprozesse fördern.
Aber sie können auch negativ sein, z.B. zu Ermüdung oder Stressreaktionen führen, und das kann langfristig gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen haben. Ein bekanntes Beispiel ist das „Burn-Out“, das mit Symptomen wie Erschöpfung, Entfremdung vom Beruf (Arbeit wird als belastend und frustrierend empfunden) und verminderter Leistungsfähigkeit einhergeht. Vor diesem Hintergrund ist die Anforderung aus dem ArbSchG zu verstehen, (negative Folgen von) psychische(n) Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen.
Gefährdungsquellen
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz wird nicht nur allgemein im ArbSchG, sondern auch in anderen Rechtsvorschriften spezifisch gefordert:
- § 3 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) fordert die Berücksichtigung psychischer Belastungen bei der Beurteilung der Gefährdungen von Arbeitsstätten,
- § 3 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) fordert die Berücksichtigung psychischer Belastungen bei der Verwendung von Arbeitsmitteln,
- § 4 Biostoffverordnung (BioStoffV) fordert die Ermittlung tätigkeitsbezogener Erkenntnisse über Belastungssituationen einschl. psychischer Belastungen.
Entsprechend werden Empfehlungen auch in den jeweiligen technischen Regeln (z.B. ASR V3, TRBS 1111, TRBA 400) gegeben. Das macht deutlich, dass psychische Gefährdungen zum einen als eigenständiger Gefährdungsfaktor zu verstehen sind, zum anderen als Querschnittthema auch bei anderen Gefährdungsfaktoren zu berücksichtigen sind.
So können etwa Monotonie, Stress oder Ermüdung zu unsicherem Umgang mit Arbeitsmitteln oder Biostoffen führen, die bei den entsprechenden Gefährdungsfaktoren zu berücksichtigen sind. (Gleiches gilt natürlich, auch wenn in der Gefahrstoffverordnung nicht ausdrücklich erwähnt, für den Umgang mit Gefahrstoffen.) Generell können negative Folgen psychischer Belastungen sowohl von den Arbeitsanforderungen (z.B. Anforderungen an das Beherrschen der eigenen Emotionen – z. B. auch gegenüber unfreundlichen Kunden freundlich bleiben zu müssen) als auch von Ausführungsbedingungen ausgehen (z. B. von ungünstigen oder zu langen Arbeitszeiten, fehlender Unterstützung, …).
Daher sollten bei den Gefährdungsquellen sowohl Arbeitsinhalte/-aufgaben als auch Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, soziale Beziehungen bei der Arbeit und die Arbeitsumgebungsbedingungen (siehe ArbStättV) und die Arbeitsmittel (siehe BetrSichV) bzw. -stoffe (siehe BioStoffV) berücksichtigt werden. Die im Rahmen des Arbeitsprogramms Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entwickelten Empfehlungen „Berücksichtigung psychischer Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung“ (4. Aufl. 2022) nennt u.a. nachfolgende typische Gefährdungsquellen:
Arbeitsinhalte/Arbeitsaufgabe
Typische Gefährdungsquellen, die durch die jeweilige Arbeitsaufgabe entstehen und in die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung am Arbeitsplatz aufgenommen werden sollen, können folgende sein:
- unvollständige, kleinteilige Tätigkeiten (z.B. nur vorbereitende, ausführende oder kontrollierende Tätigkeiten),
- abwechslungsarme Tätigkeiten,
- einseitige Anforderungen (häufige Wiederholung gleichartiger Tätigkeiten),
- Multitasking,
- unzureichender Einfluss auf Arbeitsinhalte, Arbeitsmittel, Arbeitsabläufe, Arbeitstempo, …
- fehlende, unzureichende, ungünstig dargebotene oder zu umfangreiche Informationen,
- Tätigkeiten, die nicht der Qualifikation entsprechen,
- unzureichende Einweisung/Einarbeitung,
- Umgang mit emotional stark berührenden Situationen (z.B. schwere Krankheit, soziale Probleme, …),
- ständiges Eingehen auf Bedürfnisse anderer Menschen (Kunden/innen, Patienten/innen, …),
- permanentes Zeigen geforderter Emotionen (z.B. ständiges Lächeln),
- Bedrohungen oder Übergriffe durch andere Personen (Kunden/innen, Patienten/innen, …).
Arbeitsorganisation
Auch in der Arbeitsorganisation finden sich Gefährdungsquellen zur psychischen Belastung am Arbeitsplatz, die beachtet werden müssen:
- zu hohe Arbeitsintensität, Zeitdruck,
- häufige oder langandauernde Unterbrechungen und Störungen der Arbeit,
- fehlende Nachvollziehbarkeit der Arbeitsabläufe,
- unzureichende Möglichkeiten zum fachlichen Austausch, zur Zusammenarbeit und Unterstützung (z. B. mobiles Arbeiten, Homeoffice),
- unklare Befugnisse und Verantwortungsbereiche,
- widersprüchliche Arbeitsanforderungen,
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Arbeitszeit als Quelle psychischer Belastung am Arbeitsplatz
Die Arbeitszeit stellt einen bedeutenden Faktor dar, der die psychische Gesundheit von Beschäftigten maßgeblich beeinflussen kann. Eine ungünstige Gestaltung der Arbeitszeit kann zu einer Vielzahl von psychischen Belastungen führen.
- über 10 Stunden täglich,
- über 8 Stunden täglich bei Exposition mit Gefährdungen, für die Grenzwerte festgelegt wurden (Lärm, Gefahrstoffe, …), bei hohen Anforderungen an die Konzentration, bei erhöhter physischer Belastung oder hoher Interaktionsdichte (mit Kunden/innen, Patienten/innen, …),
- unzureichende Pausen (Verkürzung, Ausfall, …),
- Verkürzung der Ruhezeit (unter 11 Stunden),
- erweitere berufliche Erreichbarkeit (z.B. Rufbereitschaft),
- Arbeit an Sonn- und Feiertagen, Nachtarbeit, ungünstig gestaltete Schichtarbeit und Dienstpläne (z.B. geteilte Schichten),
- mangelnde Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Arbeitszeit (z. B. kurzfristig erforderliche Überstunden, Arbeit auf Abruf).
Soziale Beziehungen bei der Arbeit
Beschäftigte untereinander:
- unzureichende Möglichkeiten zum sozialen Austausch,
- mangelnde soziale Unterstützung (fehlende Hilfeleistung, Zuspruch, …),
- häufige Konflikte, Aggressionen, Gewalt,
- destruktives Verhalten (Herabwürdigen, Bloßstellen, Beschimpfen, Belästigung, …),
- Zulassen von destruktivem Verhalten,
- (zusätzlich zu den o.g. Quellen bei Vorgesetzte zu Mitarbeitern) fehlende Rückmeldung und Anerkennung.
Arbeitsumgebung
Die Arbeitsumgebung spielt eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten und somit für die psychische Belastung am Arbeitsplatz. Sie kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.
- Lärm, störende Hintergrundgeräusche,
- störende/beeinträchtigende Gerüche,
- ungünstige Beleuchtung,
- unzureichende Einflussmöglichkeiten auf Umgebungsbedingungen,
- räumliche Enge, ungünstig bemessene Arbeitsräume und -plätze,
Arbeitsmittel
Arbeitsmittel, also alle Werkzeuge, Maschinen, Anlagen, Software und Materialien, die zur Aufgabenerfüllung eingesetzt werden, können durchaus eine Quelle psychischer Belastung sein. Dies mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen, ist jedoch bei genauerer Betrachtung durchaus nachvollziehbar.
- ungeeignete, fehlende Arbeitsmittel,
- unzureichende Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion,
- ungünstige Belastung durch persönliche Schutzausrüstung.
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Ermittlung und Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Für viele psychische Faktoren gibt es keine allgemein verbindlichen Standards, mit deren Hilfe ein Soll-Ist-Vergleich möglich wäre. Stattdessen geht es darum, im Betrieb ein gemeinsames Verständnis über Gefährdungen durch psychische Belastungen und Möglichkeiten zu ihrer Gestaltung zu erzielen. Dabei sollten sowohl die Führungskräfte als auch die Beschäftigten aktiv beteiligt sein. Dabei werden zum Teil widersprüchliche Sichtweisen aufeinanderprallen. Aufgabe des Arbeitsschutzes ist es dabei, die spezifische Sichtweise des Arbeitsschutzes – in diesem Fall vorrangig des Gesundheitsschutzes einzubringen. Dabei sollte auch die Einbeziehung der Betriebsärztin/des Betriebsarztes/der geprüft werden. Bei der Ermittlung sollten immer auch mögliche (gegenüber den bereits bestehenden) weitergehende Maßnahmen im Blick behalten werden. In den GDA-Empfehlungen werden folgende Instrumente/Verfahren vorgeschlagen:
- Beobachtungsinterviews: In den zu untersuchenden Tätigkeits- oder Arbeits- bzw. Organisationsbereichen wird die psychische Belastung durch geschulte Analyseteams ermittelt und beurteilt. Diese werden ggf. mit (Kurz-)Interviews mit Beschäftigten ergänzt. Vorteil dieser Methode ist die Unabhängigkeit vom Erleben der Beschäftigten, Nachteile sind die erforderliche Schulung des/der Analyseteams, dass nur beobachtbare Belastungen/Anforderungen erfasst werden und ein hoher Zeitaufwand.
- Mitarbeiterbefragung: Beschäftigte geben in standardisierten Fragebögen an, wie sie Gefährdung durch psychische Belastung einschätzen. Die Methode eignet sich insbesondere zum Erfassen von Problemschwerpunkten, Vorteil ist die Einbeziehung aller Beschäftigen und die Möglichkeit, viele relevante Arbeitsanforderungen/-bedingungen zu prüfen. Für aussagefähige Daten ist allerdings eine ausreichende Beteiligung erforderlich; eine Maßnahmenplanung muss in der Regel mit anderen Methoden (z.B. Analyseworkshops) erfolgen.
- Analyseworkshops: Psychische Belastungen werden durch Vorgesetzte, Beschäftigte und fachkundige Experten in gemeinsamen Workshops ermittelt. Vorteil ist, dass auch bereits Maßnahmen diskutiert werden können. Allerdings kann die Methode nur funktionieren, wenn eine offene Gesprächskultur und eine vertrauensvolle Atmosphäre vorhanden sind; eine Gefahr ist zudem, dass „Platzhirsche“ die Diskussion dominieren.
Kombinierte Instrument bzw. Verfahren
Die Instrumente können auch kombiniert werden. So können Problembereiche mit einer Mitarbeiterbefragung identifiziert werden, und die ermittelten Problembereiche anschließend in einem Analyseworkshop genauer betrachtet werden. Die DGUV-Information 206-026 n befasst sich auch mit der Ermittlung und Bewertung psychischer Belastungen . Diese baut ebenfalls auf den drei Instrumenten/Verfahrungen der GDA-Empfehlungen auf und verweist auf Instrumente zur Umsetzung, die branchenspezifisch von den Unfallversicherungsträgern entwickelt worden sind (hierzu sollte man sich bei seiner BG erkunden). Aus dieser DGUV-Information im Folgenden einige Hinweise zur Umsetzung:
- Liegen (was bisher eher selten ist) Kriterien oder Schwellenwerte vor, sollten diese vorrangig zur Beurteilung herangezogen werden. Beispiel: In einem Großraumbüro mit viel Publikumsverkehr wird der Lärm von den Beschäftigten in einem Workshop als geringe Gefährdung eingeschätzt, der Beurteilungspegel nach ASR 3.7 von 70 dB(A) für die relevante Tätigkeitskategorie wird jedoch überschritten – Maßnahmen sind erforderlich.
- In einigen Branchen (etwa für die Pflege, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, BGW) gibt es empirische Branchenvergleichswerte für geringe, durchschnittliche und hohe Belastung, die zur Bewertung herangezogen werden können.
- Bei der Beurteilung sollten gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse herangezogen werden (Beispiel: BAUA 2017: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung).
- Gibt es aus diesen Quellen keine Beurteilungsmaßstäbe, empfiehlt auch die DGUV-Information, diese in einem betrieblichen Prozess konsensorientiert zu entwickeln, zu vereinbaren und anzuwenden.
- Zur Bewertung kann auch eine Risikomatrix (Eintrittswahrscheinlichkeit x Folgen genutzt werden, die negativen Beanspruchungsfolgen können z.B. wie folgt abgestuft werden:
0 = ohne Folgen,
1 = kurzzeitige Folgen (Gereiztheit, Müdigkeit, Verspannungen, …),
4 = länger anhaltende Folgen (dauerhafter Ärger oder Wut, Schlafstörungen, Magenverstimmung, …),
8 = extreme Folgen (Burnout, Angsterkrankung, …).
Auch vorhandene betriebliche Daten (Krankenstandsanalysen, Beschwerden, Überlastungsanzeigen, …) können für die Gefährdungsbeurteilung genutzt werden.
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