Wenn man es wörtlich übersetzt, bedeutet Food Defense „Lebensmittel-Verteidigung“. Diese ist in Lebensmittelsicherheitsstandards wie IFS oder BRC als feste Kapitel in ihren Anforderungskatalogen verankert. Doch wogegen sollen unsere Lebensmittel verteidigt werden und wie wird ein Food Defense Plan zum Produktschutz der Lebensmittel aufgestellt? Dabei geht es nicht um irgendwelche unbeabsichtigten Infektionen oder Kontaminationen. Es geht auch nicht um Betrug, etwa durch Einmischen nicht deklarierter Inhaltsstoffe (Verfälschung). Vielmehr geht es um die Verteidigung unserer Lebensmittel auf allen Herstell- sowie Vertriebsstufen gegen beabsichtigte Kontamination, also Sabotage.
Wie berührt Food Defense das HACCP-System oder das Food Fraud System?
Nicht nur in den Standards zur Sicherung Ihrer Lebensmittel, sondern auch in rechtlichen Vorgaben werden unterschiedliche Systeme zur Gewährleistung von Sicherheit, Qualität sowie Legalität der Lebensmittel gefordert. Die drei wichtigsten sind hier HACCP, Food Defense und Food Fraud. Wie diese Systeme voneinander abgegrenzt werden können, zeigt sehr gut der Leitfaden des FSSC 22000 zu Food Defense (siehe hierzu die untere Abbildung [1]). In dieser Übersicht wird deutlich, dass man zwischen unabsichtlichen, zufälligen sowie absichtlichen Kontaminationen von Lebensmitteln unterscheidet. Unbeabsichtigt können zum Beispiel Qualitätsbeeinträchtigungen oder Verunreinigungen mit Mikroorganismen, chemischen Stoffen oder Fremdkörpern sein. Wenn diese gesundheitliche Auswirkungen haben können, werden sie im HACCP-System und der dazu gehörenden Gefahrenanalyse betrachtet. Diese sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der möglichen Lebensmittelkrankheiten beruhen.
Bei Food Defense und Food Fraud (Lebensmittelbetrug) geht es darum, absichtlichen Kontaminationen vorzubeugen. Bei der Unterscheidung dieser beiden Systeme kommt es dabei auf das mögliche Motiv des Verursachers an. Food Fraud, also Betrug mit Lebensmitteln, ist immer wirtschaftlich getrieben. Hier ist das Motiv, möglichst hohen Gewinn mit einem Produkt zu erzielen, das nicht dem entspricht, was der Verbraucher aufgrund der Deklaration erwarten darf. Wenn zum Beispiel günstige Inhaltsstoffe die hochwertigen, die deklariert sind, ersetzen, so ist dies eine Kontamination des Produktes, die beabsichtigt herbeigeführt wird. Bei Food Defense geht es darum, Sabotage abzuwehren. Diese ist in den meisten Fällen ideologisch getrieben. Das Ziel hierbei ist es, möglichst großen Schaden für Menschen, Firmen, politische Systeme oder Volkswirtschaften zu verursachen. Zu betrachten sind hier Mikroorganismen, chemische Stoffe, Fremdmaterialien (physikalische) oder radiologische Kontaminationen.
Es gibt Fälle oder Fallbetrachtungen in den Gefahrenanalysen, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. In der rechten Grafik wird dies durch sich überschneidende Bereiche verdeutlicht. Zum Beispiel wird das Beimischen von Glykol in Wein sicher mit dem Ziel des gesteigerten Gewinns vorgenommen. Aber es schadet auch Menschen und könnte damit auch ein Thema für Food Defense sein. Wenn Sie auf solche Themen stoßen, ist es sinnvoll, diese in den Analysen mehrerer Systeme zu prüfen, da Sie in jedem System unterschiedliche Bewertungskriterien betrachten sollten.
Weitere passende Blogbeiträge:
Entdecken Sie auch unsere anderen Blogbeiträge zur Lebensmittelsicherheit und erhalten Sie Expertenwissen unter anderem zu diesen Themen:
Wer könnte denn ein Interesse an Sabotage haben?
Das Food Defense System ist ursprünglich in den USA entwickelt worden. Nach den Terroranschlägen von 11. September 2001 hat man ein umfassendes Terrorabwehrsystem geschaffen, zu dem auch der Schutz von Lebensmitteln gehörte. Denn über eine flächendeckende Kontamination von Lebensmitteln könnten Terroristen auch einen erheblichen menschlichen und wirtschaftlichen Schaden anrichten. Also ist erst einmal festzustellen, dass Terroristen eventuell ein Interesse haben könnten, Lebensmittel zu kontaminieren.
Dazu kommen alle Arten von Kriminellen, die teilweise Aufmerksamkeit durch großen Schaden erreichen wollen. Es könnte sich hier um Erpresser handeln, die meistens erst im Handel ansetzen und Produkte kontaminieren, um Handelsketten oder Markenartikler zu erpressen. In Ihren notwendigen Gefahrenanalysen sollten Sie aber auch Mitbewerber, frustrierte Lieferanten, Nachbarn des Unternehmens, militante „Verbraucher- oder Tierschützer“ und andere Kriminelle betrachten, die einfach negative Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen wollen.
Die dritte große Gruppe, die in Deutschland sicher eine erhebliche Rolle spielt, sind die eigenen Mitarbeiter, die einfachen Zugang zu den relevanten Bereichen haben. Hierbei könnte es sich um frustrierte, gemobbte Personen, aber auch um ehemalige, entlassene Mitarbeiter handeln. Auch Mitarbeiter, die sich überfordert fühlen oder persönliche bzw. gesundheitliche Probleme (z.B. Suchtprobleme) haben, könnten ihren Frust auf den Arbeitgeber oder dessen Produkte abreagieren. Auch kommt es immer wieder zu „Mutproben“, bei denen Lebensmittel mit sehr unschönen Substanzen verunreinigt werden.
1. Informationen beschaffen:
Das Wichtigste ist erst mal zu akzeptieren, dass es solche Kontaminationen tatsächlich gibt – und zwar häufiger, als wir uns vorstellen können. Insbesondere die Mitarbeiter als Verursacher spielen dabei in Mitteleuropa eine große Rolle.
Um sich nun dem Thema zu nähern, können Sie sich viele Informationen aus dem Internet, insbesondere auch den USA (FDA, USDA, FSIS) besorgen. In Großbritannien ist zum Thema Food Defense ein eigener Standard entwickelt worden, der PAS 96 [2]. In dem kann man sich auch gut informieren, wie man das Thema angehen sollte. Hierbei wird noch einmal deutlich gemacht, auf welchen Ebenen der Lebensmittelbearbeitung und -handhabung die Einführung eines Food Defense-Systems angesetzt werden sollte. In der Lebensmittelherstellung sollen wir natürlich die direkt vor- sowie nachgelagerten Bereiche betrachten. Aber auch alle Bereiche, wie z.B. die Landwirtschaft oder die Abfallentsorgung, sollen in die Prüfung bzw. Risikobetrachtung einbezogen werden.
Eine wichtige Grundlage für offizielle Informationen aus Deutschland ist das BfR - Bundesinstitut für Risikobewertung) (https://www.bfr.bund.de/de/bfr_produktschutz_checkliste-190348.html). Dieses hat eine Checkliste zu Food Defense herausgebracht, die gut aufzeigt, welche Fragestellungen Sie betrachte sollten. Diese Liste können Sie als Checkliste für Ihr Unternehmen zur Prüfung verwenden, ob Sie alle dort vorgeschlagenen Maßnahmen bereits umgesetzt haben. Achtung: Die Verwendung dieser Produktschutz-Checkliste ist und ersetzt keine eigene Gefahrenanalyse!
2. Etablieren eines Food Defense Teams:
Es ist sinnvoll, die Betrachtungen und Festlegungen zu Food Defense durch ein Team durchführen zu lassen, das aus folgenden Verantwortlichen bestehen kann:
- Werksschutz
- Technik
- Gebäude bzw. Facility Manager
- Produktion
- Lager
- Vertrieb sowie Versand
- Einkauf bzw. Beschaffung
- Qualitätsmanagement.
Natürlich kann dieser Kreis je nach Unternehmensorganisation erweitert oder verschlankt werden. Im Rahmen eines Qualitätsmanagementsystems sind die Mitglieder des Teams schriftlich zu bestellen und deren Aufgaben festzulegen (z.B. in Stellenbeschreibungen). Dieses Team braucht natürlich zunächst eine entsprechende Ausbildung bzw. Schulung hinsichtlich Food Defense.
Interessante Produkte für Sie
Kursformen
Zertifikat
Informationen
3. Durchführung einer Gefahrenanalyse:
Durch das Food Defense Team muss anschließend eine detaillierte Gefahrenanalyse (Bedrohungsanalyse) durchgeführt werden. Hilfreich für die Durchführung der Gefahrenanalyse bzw. für das Aufspüren von Schwachstellen Ihrer Prozesse ist es, regelmäßig Begehungen des gesamten Betriebsgeländes mit dem gesamten Food Defense Team durchzuführen.
Es gibt auch in den Lebensmittelsicherheitsstandards keine klare Vorgabe, mit welcher Methode die Gefahrenanalyse durchgeführt werden soll. Beachten Sie hierfür bitte auch die jeweiligen Leitfäden der Standards. Es gibt verschiedene Methoden, die möglich sowie gängig sind. Dazu gehört die CARVER Methode, die in den USA weitläufig angewendet wird. Weitere Methoden werden als VACCP (Vulnerability Analysis Critical Control Point) oder TACCP (Threat Assessment Critical Control Point) beschrieben. In der deutschen Lebensmittelindustrie wird sicher das TACCP-System am häufigsten angewendet, auch wenn es manchmal nicht so genannt wird.
4. Umsetzung geeigneter Maßnahmen:
Wenn Sie in Ihrer Gefahrenanalyse Schwachstellen für die Lebensmittelsicherheit in Bezug auf mögliche Sabotage festgestellt haben, müssen Sie nun geeignete Maßnahmen festlegen und nachweisbar umsetzen, um die Schwachstellen zu vermindern.
Für die Steuerung dieser Maßnahmen eignet sich am besten ein To-Do-Plan bzw. Maßnahmenplan, wie er in Managementsystemen zur Umsetzung von Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen verwendet wird. Vergessen Sie nicht, nach erfolgreicher Beendigung der Maßnahmen eine neue Gefahren Analyse durchzuführen, um anhand der gesunkenen Risikozahlen zu belegen, dass die Maßnahmen wirksam waren.
5. Schulung
Ein weiterer wichtiger Aspekt eines Food Defense-Systems ist die Schulung der Mitarbeiter. Hierfür sollten Sie Schulungsprogramme erstellen und umsetzen. Bei diesen Schulungen sollen Sie natürlich nicht Insiderwissen an die Mitarbeiter weitergeben, wie man Produkte gezielt verunreinigen kann. Wichtig ist aber, dass Sie den Mitarbeitern Antworten auf folgende Fragen geben:
- Was ist Food Defense überhaupt? Worum geht es dabei?
- Wer ist in unserem Unternehmen verantwortlicher Ansprechpartner (Food Defense Team)?
- Welche Regeln müssen wir einhalten (z.B. Zugang zu Türen und Tore geschlossen halten, keine fremden Personen mit in den Betrieb bringen, alle potenziellen Kontaminationsmaterialien wegschließen)?
- Wie verhalten wir uns, wenn sich Betriebsfremde auf dem Betriebsgelände oder in den Gebäuden aufhalten (Ansprechen und verantwortliche Führungskräfte benachrichtigen)?
- Wie verhalten wir uns, wenn wir verdächtige Situationen feststellen (z.B. aufgebrochene Türen oder Fenster, beschädigte Produktverpackung, Herumliegende Gegenstände)?
Quellen für Zitate oder Abbildungen:
[1] * Food Safety System Certification 22000, Guidance Document: Food Defense, Version 5, May 2019, https://www.fssc22000.com/wp-content/uploads/19.0528-Guidance_Food-Defense_Version-5.pdf
Anmerkung: Im Gegensatz zur reinen ISO 22000, ist der FSSC, ebenso wie die IFS und BRC, von der GFSI anerkannt und genießt somit internationales Vertrauen.
[2] * PAS 96:2017, Guide to protecting and defending food and drink from deliberate attack, Food Standards Agency, food.gov.uk, BSI Standards Limited 2017, https://www.food.gov.uk/sites/default/files/media/document/pas962017_0.pdf
Ich helfe Ihnen gerne weiter!
Kati Schäfer
Produktmanagement Training & PRO SYS
Tel.: 07231 92 23 91 - 29
E-Mail: kschaefer@vorest-ag.de
Unsere Serviceangebote im Bereich HACCP, Hygienemanagement und Lebensmittelsicherheit
- Grundlagenwissen zum Thema - Was ist HACCP und Lebensmittelsicherheit nach den Standards IFS und BRC?
- Ausbildungen & Weiterbildungen - zu allen wichtigen Themen zu HACCP
- E-Learning Kurse - steigen Sie umfassend oder kompakt ins Thema ein!
- Inhouse-Training - wir kommen zu Ihnen ins Haus
- Musterdokumente - im offenen Format zur Unterstützung Ihrer operativen Tätigkeit
- Fachzeitschrift ProSys - monatliche Fachinfos inklusive Mustdokumente
- Beratung - wir unterstützen Sie und stehen Ihnen beratend zur Seite