Störfallverordnung – Geschichte, Anwendungsbereiche & Pflichten

Ziel der Störfallverordnung ist es, Menschen und Umwelt vor Gefahren von freigesetzten, gefährlichen Stoffen zu schützen. Schon das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) von 1974 sollte nicht nur vor schädlichen Umwelteinwirkungen, sondern „soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt“, auch vor Gefahren schützen. Entsprechend mussten die Genehmigungsunterlagen bereits nach der 9. BImSchV von 1977 Angaben dazu enthalten, welche Maßnahmen es zum Schutz „vor sonstigen Gefahren“ gab. Der Chemie-Unfall im italienischen Seveso 1976 führte dann zur detaillierten Regelung dieses Themas mit der Störfallverordnung (12. BImSchV) von 1980. 1982 verabschiedete auch die EG eine Richtlinie zum Thema („Seveso-Richtlinie“), die seither auch das deutsche Störfallrecht maßgeblich prägt.

Die Entwicklung der Störfallverordnung

Die erste Störfall-VO hatte zwei Zielrichtungen. Zum einen hatte der Unfall von Seveso gezeigt, dass durch immer größere Anlagen und immer größere Lager mittlerweile erhebliche Gefahren für die zum Teil dicht besiedelte Nachbarschaft ausgehen konnten. Die Sicherheitstechnik hatte zweifelsfrei nicht Schritt mit dieser Entwicklung gehalten. Zum anderen wollte Deutschland ein nationales Konzept entwickeln, mit dem es Einfluss auf die seit 1978 laufenden Gespräche zu einer europaweiten Regelung – der spätere „Seveso- Richtlinie“ (RL 82/ 501/EWG) – nehmen konnte.

Die Verordnung galt für genehmigungspflichtige Anlagen, in denen in Anhang II „Stoffe“ aufgeführte Stoffe (142 Stück) vorhanden waren oder bei einer Störung entstehen konnten. Zu den Anforderungen der Störfallverordnung gehörte u.a. die Erstellung einer Sicherheitsanalyse, in der Gefahrenquellen und die Voraussetzungen, unter denen ein Störfall eintreten konnte, die Maßnahmen zu Verhinderung und Begrenzung von Störfällen und deren mögliche Auswirkungen dargestellt werden mussten. Als „Störfall“ galt, wenn ein in Anhang II aufgeführter Stoff freigesetzt wurde, entstand, in Brand geriet oder explodierte und eine Gemeingefahr hervorrief. Eine Gemeingefahr war eine Gefahr für Leben oder schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung von Menschen, die nicht zum Bedienpersonal der Anlage gehörten. Hinzu kam die Gefahr für die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen oder für „Sachen von hohem Wert“ außerhalb der Anlage, wenn deren Beschädigung das Gemeinwohl beeinträchtigt.

Anwendbarkeiten der Störfallverordnung

Was sind die Vorgaben der Seveso-Richtlinie?

In den Jahren nach Verabschiedung der Störfallverordnung zeigte sich aber, dass viele Stoffe, die nicht im Anhang II der Verordnung standen, die Ursache von Unfälle waren – darunter 1986 der Brand in einer Lagerhalle der Firma Sandoz in der Schweiz. 1987 änderte daher die EWG mit der RL 87/216/EWG ihre Störfall-Richtlinie. 1988 erfolgte daraufhin die Anpassung der deutschen Störfall-VO angepasst. Dabei ergänze sich die Liste der Anlagen u.a. um zahlreiche Lageranlagen. In den Anhang II wurden Stoffgruppen wie brennbare Gase, leicht entzündliche und entzündliche Flüssigkeiten sowie viele neue Stoffe aufgenommen. Die Liste umfasste jetzt 319 Positionen. Neue Forderungen betrafen u.a. die Erstellung von Alarm- und Gefahrenabwehrplänen für die betroffenen Anlagen.

Nach der zweiten Änderung der Seveso-Richtlinie durch die RL 88/610/EWG, die vor allem neue Vorgaben für die Information der Öffentlichkeit über die zu ihrem Schutz vorgesehenen Maßnahmen machte, gab es 1991 eine neue Fassung der Störfallverordnung. Ergänzung fanden darin auch Vorgaben zum Schutz von Beschäftigten der Anlage und die Forderung nach einem Störfallbeauftragten (wie auch bei der Änderung des BImSchG im Jahr 1990). Die neu gefasste 5. BImSchV vom Jahr 1993 bestimmte den Kreis der betroffenen Anlagen.



Seveso-II-Richtlinie

1996 ersetzte die neu gefasste Seveso-II-Richtlinie, RL 96/82/EG, die EWG-Störfall-Richtlinie. Diese bezog sich nicht mehr auf Anlagen, sondern generell auf den Betrieb, zu dem die Anlage gehörte. Im Jahr 2000 wurde die Störfallverordnung zur Umsetzung dieser Richtlinie neu gefasst. Anwendbar war sie nun auf Betriebsbereiche, die in Anhang I Spalte 4 genannte Mengenschwellen erreichten oder überschritten. Fand eine Überschreitung der in Anhang I Spalte 5 genannten Mengenschwellen statt, galten die „erweiterten Pflichten“ der §§ 9 bis 12. Zu diesen gehörte die Erstellung eines Sicherheitsberichts, der die Beschreibung eines Sicherheitsmanagementsystems enthalten musste.

Seveso-III-Richtlinie

Das „GHS“ oder die „CLP-VO“ (VO (EU) 1272/2008) regelten das europäische Vorgehen zur Einstufung von Chemikalien neu. Dadurch musste auch das Störfallrecht angepasst werden. Da sich zudem gezeigt hatte, dass die Häufigkeit schwerer Unfälle nicht abgenommen hatte, war auch die Erhöhung des Schutzniveaus notwendig.

Die Umsetzung erfolgte mit der „Seveso-III-Richtlinie“ (RL 2012/18/ EU). Die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte mit einer Änderung des BImSchG im Jahr 2016. Diese Änderungen beinhalteten eine neue Regelung zum Anzeigeverfahren auch für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen in § 23a und zum störfallrechtlichen Genehmigungsverfahren in § 23b. Außerdem gab es im Jahr 2017 eine Neufassung der Störfallverordnung. Da die Gefahrenkategorien der Störfall-VO an die VO (EU) 1272/2008 angepasst wurden, wurden z.T. neue Stoffe von der Störfallverordnung erfasst. Zudem wurden neue Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit eingeführt (§ 8a 12. BImSchV). Eine neue Definition erhielten außerdem Betriebsbereiche der unteren und der oberen Klasse. Nur für letztere gelten die erweiterten Pflichten der §§ 9 bis 12.

Welche Anwendungsbereiche gibt es in der Störfallverordnung?

Die Störfallverordnung (12. BImSchV) gilt für Betriebsbereiche der unteren und der oberen Klasse.

  • Betriebsbereich ist nach § 3 Nr. 5a BImSchG der gesamte unter der Aufsicht eines Betreibers stehende Bereich, der eine oder mehrere Anlagen umfassen kann.
  • Betriebsbereich der unteren Klasse ist ein Betriebsbereich, in denen in der Stoffliste in Anhang I genannte Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Spalte 4 dieser Liste genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten, aber unter den in Spalte 5 genannten Mengenschwellen bleiben.
  • Betriebsbereich der oberen Klasse ist laut Störfallverordnung ein Betriebsbereich, in denen in der Stoffliste in Anhang I genannte Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Spalte 5 dieser Liste genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten. Beispiel: Ein Betriebsbereich, in dem 10.000 kg entzündbare Flüssigkeiten gelagert sind, ist Betriebsbereich der unteren Klasse, werden 25.000 kg gelagert, ist er Betriebsbereich der oberen Klasse.

Errichtung und Betrieb sowie relevante Änderungen von nicht genehmigungspflichtigen Anlagen, die Betriebsbereich oder Teil eines solchen sind, bedürfen nach § 23a BImSchG einer Anzeige bei der zuständigen Behörde. Unterschreitet der anhand störfallspezifischer Faktoren ermittelte „angemessene Sicherheitsabstand zu benachbarten Schutzobjekten“ erstmalig den genehmigten Wert, bedarf die Errichtung/der Betrieb/die Änderung einer Genehmigung nach § 23b BImSchG.

Die Grundpflichten für Betriebsbereiche

Für alle Betriebsbereiche gilt laut Störfallverordnung:

  • § 3: Betreiber müssen die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um Störfalle entsprechend den Anforderungen in § 4 zu verhindern. Dabei müssen sie betriebliche Gefahren, Gefahren aus der Umgebung wie Hochwasser und Eingriffe Unbefugter berücksichtigen. So können die Auswirkungen dennoch eintretender Störfälle entsprechend den Anforderungen in § 5 so gering wie möglich gehalten werden.
  • § 6: Betreiber müssen die Anlagen des Betriebsbereiches ständig sicherheitstechnisch überwachen und regelmäßig nach dem Stand der Technik warten. Fehlbedienungen von Anlagen müssen durch technische und organisatorische Maßnahmen (Anweisungen, …) sowie Schulungen möglichst verhindert werden.
  • § 7: Geplante Errichtungen oder Änderungen (einschl. Stilllegung) von Betriebsbereichen müssen der zuständigen Behörde einen Monat vorher schriftlich angezeigt werden.
  • § 8: Der Betreiber muss ein schriftliches Konzept zur Verhinderung von Störfällen ausarbeiten. Die Umsetzung muss durch ein Sicherheitsmanagementsystem nach Anhang III sichergestellt werden. Konzept und Sicherheitsmanagementsystem müssen spätestens alle 5 Jahre, vor Änderungen i.S. des § 7 und nach Ereignissen überprüft werden.
  • § 8a: Der Öffentlichkeit sind die in Anhang V Teil 1 genannten Angaben ständig zugänglich zu machen – auch auf elektronischem Weg. Dies umfasst eine verständliche Darstellung der Tätigkeiten im Betriebsbereich, die gebräuchliche Bezeichnung der gefährlichen Stoffe und Informationen über die Warnung der betroffenen Bevölkerung im Falle eines Störfalls und das Verhalten bei einem Störfall. Nach (2) gibt es mit Zustimmung der Behörde hiervon Ausnahmen, wenn Betriebsgeheimnisse geschützt werden müssen.

Dokumentation des Konzepts zur Verhinderung von Störfällen

Das Konzept zur Verhinderung von Störfällen muss Ziele und Handlungsgrundsätze, Rolle und Aufgaben der Leitung des Betriebsbereichs, Verpflichtung zur Verbesserung und hohem Schutzniveau sowie das Sicherheitsmanagementsystem dokumentieren. Dieses regelt:

  • Organisation und Personal (Zuständigkeiten, Schulung der Mitarbeiter, Einsatz von Fremdfirmen, …)
  • Methode der Ermittlung sowie Bewertung von Störfallgefahren
  • Überwachung des Betriebes
  • Sichere Durchführung von Änderungen
  • Planung für Notfälle, einschl. Unterweisung der Beschäftigten
  • Überwachung des Managementsystems
  • Überprüfung und Bewertung von Konzept und Managementsystem

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Welche erweiterte Pflichten gibt es in der Störfallverordnung?

Für Betriebsbereiche der oberen Klasse gibt es gemäß Störfallverordnung zusätzliche Pflichten. Diese können auf Anordnung der Behörde möglicherweise auch für Betreiber von Betriebsbereichen der unteren Klasse gelten.

  • § 9: Erstellung eines Sicherheitsberichts.
  • § 10: Erstellung eines internen Alarm- und Gefahrenabwehrplans mit den Informationen aus Anhang IV.
  • § 11: Weitergehende Information der Öffentlichkeit mit den Informationen nach Anhang V Teil 2 (u.a. Information über Gefahren, die von einem Störfall ausgehen können und über die Maßnahmen zur Verhinderung/ Begrenzung von Störfällen).
  • § 12: Benennung einer mit der Begrenzung der Auswirkung von Störfällen beauftragten Person (= Störfallbeauftragte/r, die/der auch in § 1 5. BImSchV für Betriebsbereiche der oberen Klasse gefordert ist) und ggf. (auf Verlangen der Behörde) Einrichtung einer geschützten Verbindung. Die Aufgaben des/der Störfallbeauftragten sind in § 58b BImSchG geregelt: Sie/er ist Berater des Betreibers, weist auf Mängel hin, überwacht die Einhaltung rechtlicher Verpflichtungen und wirkt auf die Verbesserung der Sicherheit hin.

Der Sicherheitsbericht umfasst das Konzept (s.o.) sowie eine Beschreibung des Betriebsbereichs und seiner Umgebung. Hinzu kommt noch die anlagenbezogenen Beschreibungen, das Ergebnis der Ermittlung und Bewertung der Störfallgefahren und die festgelegten Maßnahmen. Der Alarm- und Gefahrenabwehrplan (AGAP) fasst die Informationen über Alarmierung und Kommunikationsstrukturen sowie über die Gefahrenabwehr (Rettungswege, Zufahrt, Energieversorgung, Löschwasserrückhaltung, Gefahrenpotenziale, Zuständigkeiten, Lotsen für öffentliche Gefahrenabwehrkräfte etc.) zusammen. Ggf. kann auf vorhandene Pläne verwiesen werden (Feuerwehrpläne etc.).

 


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